Auszug aus dem Bundesgesetz
über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel
(Finanzmarktinfrastrukturgesetz, FinfraG)
vom 19. Juni 2015
Datum des Inkrafttretens: 1. Januar 2016
1. Titel: Allgemeine Bestimmungen
Art. 2 Begriffe
2. Titel: Finanzmarktinfrastrukturen
2. Kapitel: Handelsplätze, organisierte Handelssysteme und Strombörsen
1. Abschnitt: Handelsplätze
3. Titel: Marktverhalten
4. Kapitel: Öffentliche Kaufangebote
Art. 125 Geltungsbereich
Art. 127 Pflichten des Anbieters
Art. 128 Prüfung des Angebots
Art. 131 Zusätzliche Bestimmungen
Art. 134 Meldepflicht
Art. 139 Verfahren vor der Übernahmekommission
Art. 141 Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
5. Kapitel: Insiderhandel und Marktmanipulation
6. Kapitel: Instrumente der Marktaufsicht
Art. 145 Aufsichtsinstrumente gemäss FINMAG
1. Kapitel: Strafbestimmungen
Art. 153 Pflichtverletzungen durch die Zielgesellschaft
4. Titel: Straf- und Schlussbestimmungen
3. Abschnitt: Übergangsbestimmungen
Art. 163 Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots
2. Kapitel: Schlussbestimmungen
Praxis zu Art. 125 Abs. 4 FinfraG (vormals Art. 22 Abs. 3 BEHG)
Zulässigkeit von allgemeinen Opting out-Klauseln
Grundsatz und Voraussetzungen
Grundsätzlich kann eine Gesellschaft die Angebotspflicht auch nach erfolgter Kotierung jederzeit statutarisch ausschliessen. Dies jedoch nur, sofern keine Benachteiligung der Aktionäre im Sinne von Art. 706 OR bewirkt wird. Der Verweis auf Art. 706 OR wird als zusätzliches (übernahmerechtliches) Gültigkeitserfordernis verstanden, und damit als Kompetenzgrundlage für die UEK, die Gültigkeit eines nachträglichen Opting out zu überprüfen. Ob bei der nachträglichen Einführung keine solche Benachteiligung der Aktionäre vorliegt und das nachträgliche Opting out folglich gültig ist, prüft die UEK anhand der Erfordernisse der Transparenz und der Zustimmung der Mehrheit der Minderheit:
Transparenzerfordernis: Damit die Aktionäre in voller Kenntnis der Umstände entscheiden können, müssen sie gestützt auf das Erfordernis der Transparenz in der Einladung zur Generalversammlung präzise Informationen erhalten, welche an der Generalversammlung vor der Abstimmung mündlich zu wiederholen sind.
Zustimmungserfordernis: Wenn die durch die Einführung der Klausel potentiell benachteiligten Aktionäre der Einführung der Opting out-Klausel mehrheitlich zustimmen, vermutet die UEK die Richtigkeit dieser Entscheidung und damit, dass keine Benachteiligung der Aktionäre i.S.v. Art. 706 OR vorliegt (Richtigkeitsvermutung).
Eine zivilrechtliche Klage betreffend die Anfechtung des Generalversammlungsbeschlusses gestützt auf Art. 706 OR bleibt stets vorbehalten.
Transparenz: Erfordernis der Abstimmung auf Basis umfassender Information
Zweck der Transparenzregel
Zweck der Transparenzregel ist es, dass jeder Aktionär eine freie und bewusste Entscheidung über die Einführung eines Opting out / opting up treffen kann. Liegt die übernahmerechtlich geforderte Transparenz nicht vor, hat das Opting out / Opting up zumindest gegenüber jenen Aktionären, welche eine Informationspflicht trifft, keine Wirkung.
Umfang der Information für die Aktionäre
Die Vermutung, dass keine Benachteiligung der Aktionäre vorliegt, wenn die potentiell benachteiligten Aktionäre der Einführung des Opting out / Opting up zustimmen (Richtigkeitsvermutung), kann nur gelten, soweit die Aktionäre gebührend über (i) die Sachlage, (ii) die wahren Absichten des die Einführung verlangenden Aktionärs sowie der Aktionäre mit Kontrollbeteiligung und (iii) die Konsequenzen der Einführung der entsprechenden Opting out- / Opting up-Klausel (allgemein und in Bezug auf den jeweiligen Fall) informiert werden.
Formelle Transparenz-Erfordernisse bezüglich des Informationsprozesses
Wenn der Verwaltungsrat oder ein Aktionär ein Opting out / Opting up beantragt, so muss er dementsprechend Informationen liefern (i) über die Gründe seines Antrages, (ii) über die geplante Transaktion sowie (iii) über den daraus resultierenden Kontrollwechsel. Der Verwaltungsrat hat diese Informationen in die Einladung zur Generalversammlung, an welcher über die Einführung der Opting out-/Opting up-Klausel abgestimmt werden soll, zu integrieren. Die GV-Einladung hat zudem auch Informationen über die generellen Auswirkungen des Opting out-/ Opting up zu enthalten. Diese Informationen sind mündlich an der Generalversammlung vor der Abstimmung zu wiederholen.
Das Transparenz-Erfordernis verlangt insbesonder, dass die (übrigen) Aktionäre rechtzeitig über bereits konkret geplante Projekte und verhandelte Transaktionen mit Investoren informiert werden. Sind die (übrigen) Aktionäre im Zeitpunkt der Abstimmung über die Opting out- / Opting up-Klausel nicht angemessen über solche Transaktionen / Projekte informiert, entfaltet die Opting out- / Opting up-Klausel gegenüber dem Aktionär, welchen die Informationspflicht trifft, respektive gegenüber dem betreffenden Investor aus übernahmerechtlicher Sicht keine Wirkung.
Vgl. zur weniger strikten Anwendung der formellen Transparenz Erfordernisse bei Opting out-Klauseln, die vor der Praxisänderung in Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holding AG (ADB 2012) eingeführt wurden, nachstehenden Praxisleitsatz.
Weniger strikte Anwendung der formellen Transparenz-Erfordernisse bei Opting out-Klauseln, die vor der Praxisänderung in Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG (ADB 2012) eingeführt wurden
Die UEK legt bei Opting out-Klauseln, die vor der Praxisänderung (ADB 2012) eingeführt worden sind, in formeller Hinsicht einen weniger strikten Massstab an (insbesondere bezüglich der aktuellen (formellen) Anforderungen an den Detaillierungsgrad der GV-Einladung). Die UEK prüft demgegenüber umfassend, ob das Transparenzerfordernis materiell erfüllt wurde, d.h., ob die Minderheitsaktionäre vor der Abstimmung über hinreichende Informationen zur fundierten Entscheidfindung (informed consent; consentement éclairé) verfügten.
Zustimmung der "Mehrheit der Minderheit" der Aktionäre
Es wird vermutet, dass der von der Generalversammlung gefällte Entscheid betreffend die nachträgliche Einführung eines Opting out / Opting up im Gesellschaftsinteresse liegt (Richtigkeitsvermutung) und keine Benachteiligung der Aktionäre vorliegt, wenn die Opting out- / Opting up-Klausel in zweistufiger Abstimmung mit (i) der absoluten Mehrheit aller vertretenen Stimmen sowie (ii) der absoluten Mehrheit der potentiell benachteiligten (vertretenen) Aktionäre angenommen wird. Dazu können nacheinander zwei separate Abstimmungen (durch UEK präferierter Modus) abgehalten oder die Stimmabgabe in einem Abstimmungsdurchgang entsprechend separat ausgewertet werden. Die Anfechtungsklage nach Art. 706 OR bleibt vorbehalten.
Lehnt die Mehrheit der potentiell benachteiligten Minderheitsaktionäre die nachträgliche Einführung einer Option out / Opting up-Klausel ab, wird demgegenüber vermutet, dass die Opting out-Klausel eine Benachteiligung der Minderheitsaktionäre im Sinne von Art. 706 OR bewirkt und entsprechend aus übernahmerechtlicher Sicht ungültig ist. Die Anfechtungsklage nach Art. 706 OR bleibt vorbehalten.
Insbesondere Kreis der potentiell benachteiligten Aktionäre ("Minderheit")
Nicht zu den durch die Einführung der Opting out-/Opting up-Klausel potentiell benachteiligten Aktionären zählen grundsätzlich (i) Aktionäre, die die Einführung der Klausel beantragen (und solche, in gemeinsamer Absprache mit dem Antragsteller handeln) und (ii) Aktionäre mit Kontrollbeteiligung, insbesondere Aktionäre, die direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten mindestens 33 1/3% der Stimmrechte der Gesellschaft auf sich vereinigen.
Vermutung der Benachteiligung bzw. Nicht-Benachteiligung der Aktionäre kann widerlegt werden
Wiederlegung der Vermutung der Nicht-Benachteiligung durch Vorliegen besonderer Umstände
Liegen besondere, ausserordentliche Umstände vor, welche gegen die bestehende Vermutung sprechen, behält sich die UEK vor, eine materielle Prüfung der Klausel gemäss Art. 706 OR vorzunehmen. Sie wird aber nur zurückhaltend und nicht ohne Not eingreifen, insbesondere bei Vorliegen einer doppelten zustimmenden Mehrheit.
Widerlegung der Vermutung der Benachteiligung durch Vorliegen besonderer Umstände
Auch im Falle der Ablehnung des Opting out durch die Mehrheit der Minderheitsaktionäre, kann die Vermutung der Benachteiligung ebendieser Minderheitsaktionäre aufgrund aussergewöhnlicher Umstände widerlegt werden und sich eine Prüfung der materiellen Zulässigkeit der Klausel gemäss Art. 706 OR rechtfertigen, namentlich wenn sich abzeichnet, dass die Einführung des Opting out einem überwiegenden Gesellschaftsinteresse entspricht, etwa wenn ein neuer Investor bei einer in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Gesellschaft einsteigt (vgl. Verfügung 440/01 vom 4. Juni 2010 in Sachen COS Computer Systems AG Erw. 2.1).
Rechtsfolge bei Vorliegen einer Benachteiligung der Aktionäre: Opting out ist übernahmerechtlich ungültig und unwirksam
(i) Erfolgt die Abstimmung unter Missachtung des Transparenzerfordernisses (insbesondere dadurch, dass die Antragsteller im Zeitpunkt der Abstimmung bereits bestehende Projekte nicht hinreichend offenlegen) oder (ii) wird die Opting out- / Opting up-Klausel nicht von der absoluten Mehrheit der potentiell benachteiligten Aktionäre angenommen, so wird grundsätzlich eine Benachteiligung vermutet und (iii) liegen keine besonderen und aussergewöhnlichen Gegebenheiten vor, die eine Benachteiligung rechtfertigen, so ist die entsprechende Statutenbestimmung aus übernahmerechtlicher Perspektive ungültig und entfaltet keine Wirkung für bestehende oder zukünftige Aktionäre der Gesellschaft. Eine zivilrechtliche Klage betreffend die Anfechtung des Generalversammlungsbeschlusses gestützt auf Art. 706 OR bleibt vorbehalten. Schliesslich bleibt es den Antragstellern sowie der Gesellschaft grundsätzlich unbenommen, eine erneute Abstimmung zur nachträglichen Einführung des Opting out unter Beachtung der aktuellen Voraussetzungen der Richtigkeitsvermutung durchzuführen.
Zulässigkeit von selektiven Opting out-Klauseln
Der aktuellen Praxis zu nachträglich eingeführten Opting out-Klauseln liegt der Gedanke zu Grunde, dass die transparent aufgeklärten (Minderheits-)Aktionäre selbst entscheiden sollen, ob sie die Vor- oder Nachteile eines Opting out stärker gewichten. Vor diesem Hintergrund scheint es sachgerecht, auch ein Opting out zuzulassen, welches sich nur auf eine bestimmte Transaktion bezieht, da dies einen weniger starken Eingriff in ihre Rechte bedeutet, als ein "generelles" Opting out. Obwohl die namentliche Nennung von "Begünstigten" in Opting out-Klauseln eine Ungleichbehandlung von Aktionären bedeutet, wird diese durch das Interesse an der Transaktion gerechtfertigt.
Spielraum bei der Gestaltung von Opting out-Klauseln
Der Gesetzgeber hat mit dem Grundsatz der Angebotspflicht (Art. 135 Abs. 1 FinfraG) und den beiden Ausnahmebestimmungen über das Opting out (Art. 125 Abs. 3 und 4 FinfraG) und Opting up (Art. 135 Abs. 1 FinfraG) ein ausschliessliches, in sich geschlossenes gesetzliches System des Übernahmerechts geschaffen, welches durch die Möglichkeit der Einführung von selektiven Opting out-Klauseln im von der UEK festgelegten Rahmen ergänzt wird. Entsprechend besteht kein Spielraum für eine weitergehende, individuelle Gestaltung der Übernahmeregeln. Die Einführung einer statutarischen Angebotspflicht, deren Bedingungen dem geltenden Recht widersprechen, ist daher nicht zulässig.
Kompetenzgrundlage der UEK zur Prüfung von nachträglichen Opting out-Klauseln
Der in Art. 125 Abs. 4 FinfraG enthaltene Verweis auf Art. 706 OR wird als zusätzliches (übernahmerechtliches) Gültigkeitserfordernis verstanden, und damit als Kompetenzgrundlage für die UEK, die Gültigkeit eines nachträglichen Opting out zu überprüfen.
Intertemporalrecht
Grundsatz: Anwendbarkeit der Gültigkeitskriterien der neuen Praxis auf früher eingeführte Opting out-Klausel
Grundsätzlich ist eine neue Rechtsprechung unmittelbar anwendbar; auf pendente Sachgeschäfte somit im Moment des Inkrafttretens der Rechtssprechung. Dabei ist allerdings dem Gutglaubensschutz i.S.v. Art. 9 ZGB Rechnung zu tragen (BGE 135 II 78, Erw. 3.2), welcher insbesondere bei der Fristberechnung Anwendung findet (BGE 135 II 78, Erw. 3.3). Ein vor der Praxisänderung eingeführtes Opting out wird somit nach Massgabe der neuen Praxis (gemäss Verfügung 518/01 vom 11. Oktober 2012 in Sachen Advanced Digital Broadcast Holdings AG) und ohne Rücksicht auf das Datum der Einführung der Opting out-Klausel durch die Generalversammlung auf ihre Gültigkeit geprüft, wenn der entsprechende Kontrollwechsel nach der Praxisänderung liegt.
Keine Prüfung der Gültigkeit von Opting out und Opting up-Klauseln im Rahmen einer gewährten Sanierungsausnahme
Gewährt die UEK eine Ausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG (Sanierungsausnahme), wird die Gültigkeit einer vorgängig eingeführten Opting up-Klausel nicht geprüft. Die gewährte Sanierungsausnahme gilt unabhängig davon, wo die eine Angebotspflicht auslösende Schwelle in einem konkreten Fall liegt.
Für Gültigkeit einer Opting up-Klausel (Art. 135 Abs. 1 FinfraG) gelten die gleichen Kriterien wie für das Opting out
Die Gültigkeit einer nach der Börsenkotierung in den Statuten eingeführten Opting up-Klausel (Grenzwert bis auf 49 Prozent der Stimmrechte anhebbar) gemäss Art. 135 Abs. 1 FinfraG ist nach den gleichen Kriterien wie beim Opting out zu beurteilen.
Opting in
Zuständigkeit der UEK zur Prüfung der Abstimmungsmodalitäten betreffend Opting in
Für die Beurteilung der börsenrechtlichen (nicht aber der gesellschaftsrechtlichen) Abstimmungsmodalitäten eines Opting in (Streichung eines Opting out) ist die Zuständigkeit der UEK gegeben. Demgegenüber ist die Beurteilung von gesellschaftsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Abstimmung über ein Opting in Sache des hierfür zuständigen Zivilgerichts, es sei denn, es handle sich lediglich um die vorfrageweise Beurteilung von gesellschaftsrechtlichen Fragen durch die UEK.
Keine Anwendung der Praxis der UEK zur nachträglichen Einführung eines Opting out auf das Opting in
Weil beim Opting in (Streichung eines Opting out) keine Gefahr einer Benachteiligung der Minderheitsaktionäre besteht, findet die unter Art. 125 Abs. 4 FinfraG entwickelte Praxis der UEK zur nachträglichen Einführung eines Opting out (Transparenz-Erfordernis / Mehrheit der Minderheit) bei einem Opting in keine Anwendung.
Keine Rückwirkung des Opting in
Aktionäre können sich dazu entscheiden, eine bestehende Opting out-Klausel in den Statuten wieder zu streichen, was allerdings keine Rückwirkung entfaltet: Wird der Grenzwert von 33 1/3% der Stimmrechte vor dem Streichen der Opting out-Klausel in den Statuten überschritten, besteht rückwirkend keine Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes.
"Massgeschneidertes Opting in"
Zur Wiedereinführung einer teilweisen Angebotspflicht durch Anpassung einer bestehenden Opting out-Klausel in den Statuten, vgl. die Praxis und Kommentierung zum Opting out.
5.1.1 Wie bereits dargelegt, hat die Sika an ihrer Generalversammlung vom 27. Mai 1998 einstimmig die Aufnahme eines Art. 5 mit einer Opting-out-Klausel in ihre Statuten beschlossen (vgl. E. 3.1). Damit machte sie bzw. machten ihre Aktionäre von der durch die am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Revision des BEHG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Pflicht zu einem öffentlichen Kaufangebot nach Art. 32 und 52 BEHG auszuschliessen; gleichzeitig verhinderte sie durch ihr Handeln während der gesetzlichen Übergangsfrist von zwei Jahren (vgl. Art. 53 aBEHG), dass sie die strengeren Voraussetzungen für die Einführung einer Opting-out-Klausel nach Art. 22 Abs. 2 und 3 BEHG erfüllen musste. Damals erlaubte Art. 22 Abs. 2 BEHG den Publikumsgesellschaften nur, die erwähnte gesetzliche Angebotspflicht innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Revision global für nicht anwendbar zu erklären. Die gesetzliche Ausnahme von Art. 32 Abs. 3 BEHG, wonach die Angebotspflicht ausgeschlossen ist, wenn die Stimmrechte durch Schenkung, Erbgang, Erbteilung, eheliches Güterrecht oder Zwangsvollstreckung erworben werden, bestand bereits. Hätte Sika das Opting out auf solche Fälle beschränken wollen, um die Familie Burkard davor zu schützen, bei Verschiebungen im Aktionariat ein Pflichtangebot unterbreiten zu müssen, hätte gar kein Opting out beschlossen werden müssen. Nicht möglich war damals, die Angebotspflicht selektiv auszuschliessen bzw. – über die Fälle nach Art. 32 Abs. 3 BEHG hinaus – nur auf bestimmte Aktionärskreise oder Konstellationen anzuwenden. Der Gesetzgeber hat aber später erkannt, dass eine strikte Anwendung der Angebotspflicht zu unerwünschten Folgen führen könne. Er hat deshalb in Art. 32 Abs. 2 BEHG (i.V.m. Art. 39 der Börsenverordnung FINMA vom 25. Oktober 2008 [BEHV-FINMA, SR 954.193]), der am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, Sachverhalte aufgelistet, die es der UEK erlauben, die Angebotspflicht in Einzelfällen ausser Kraft zu setzen. Mit dieser Gesetzesrevision sind die Bedenken, die zur Einführung des Opting out nach Art. 22 Abs. 2 und 3 BEHG geführt haben, ganz oder jedenfalls weitgehend hinfällig geworden. Wie die Vorinstanzen eingehend dargelegt haben, hat die UEK ab dem Jahr 2010 ihre Praxis sukzessive dahingehend angepasst, dass formell und materiell selektive Opting-out-Klauseln in den Statuten einer Publikumsgesellschaft zulässig seien, sofern die Generalversammlung in voller Kenntnis der Sachlage über die Einführung des Opting out abstimme und der Antrag von der Mehrheit der von Minderheitsaktionären vertretenen Stimmen angenommen werde (vgl. für eine Zusammenfassung der entsprechenden Praxis der UEK Rz. 9 ff. der Verfügung 600/01 vom 22. April 2015 in Sachen Kaba Holding AG). Auf die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz, einschliesslich Quellenangaben, kann hier verwiesen werden (angefochtene Verfügung Rz. 49). Diese Entwicklung ändert aber nichts daran, dass die unter dem alten Regime – vor dem 1. Januar 2000 – eingeführten Opting-out-Klauseln in Statuten börsenkotierter Gesellschaften (vgl. dazu Art. 22 Abs. 1 BEHG) nach dem klaren Willen des historischen Gesetzgebers nach wie vor pauschal gelten und auf jegliche Aktionäre anwendbar sind. Eine nachträgliche selektive Anwendung solcher genereller Opting-out-Klauseln ist ausgeschlossen. Den betroffenen Gesellschaften steht es aber frei, sie unter den Voraussetzungen von Art. 22 Abs. 3 BEHG abzuändern. Dies erfordert aber einen Beschluss der Generalversammlung, der zudem keine Benachteiligung der Aktionäre im Sinne von Art. 706 OR bewirken darf. Da die Sika Art. 5 ihrer Statuten nicht entsprechend angepasst hat, ist die Bestimmung pauschal auf alle Aktionäre anwendbar. Hätte z.B. ein Dritter Inhaberaktien aufgekauft und den Schwellenwert für eine Angebotspflicht nach Art. 32 Abs. 1 BEHG überschritten, hätte auch er sich auf die Opting-out-Klausel berufen können.
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